Berichte von 12/2022

Die Weihnachtstanne

Samstag, 24.12.2022

Ihr Lieben,

vor ein paar Jahren habe ich eine Weihnachtsgeschichte geschrieben, die mich selbst auch heute immer noch bewegt. Es geht um einen großen Wunsch, Nächstenliebe und das Loslassen...
Vielleicht schenkt ihr eurem Weihnachtsbaum heute und die nächsten Tage besonders viel Aufmerksamkeit.

Ich unterbreche hiermit meinen Reisecontent für diese Geschichte:

 

Die Weihnachtstanne

Es war einmal in einem Wald, da warf eine ältere Tanne ihre Zapfen ab und freute sich auf ihren Nachwuchs. Schon bald sprossen einige ihrer Jungtannen aus dem feuchten Waldboden und wuchsen schnell heran. Eine der Kleinen wuchs besonders eng an der älteren Tanne, und ganz heimlich wurde sie zu ihrem Lieblingskind. Sie war etwas kleiner und schmächtiger, als die anderen, sie bekam einfach nicht so viel Licht ab, weil sie etwas versteckt unter den dichten Zweigen der Muttertanne wuchs, aber trotzdem hatte sie ihren eigenen Kopf und streckte sich unaufhaltsam der Sonne entgegen.

Als der Winter kam, wurde der älteren Tanne wieder weh ums Herz. Sie wusste, dass jetzt wieder die Menschen mit ihren Äxten und Sägen kamen und sich geeignete Bäume für den Weihnachtsabend aussuchten. Sie selbst war zu groß und alt dafür, aber sie hatte schon viele Jung-Tannen gehen sehen. Es schneite dicke Flocken, als eine kleine Familie mit dem Förster des Weges kam und Ausschau nach einem Baum für Weihnachten hielt.
„Wer sind die Leute, Mama?“, fragte die kleine Tanne.
„Die kommen, um sich einen Baum auszusuchen!“, erklärte die Muttertanne.
„Einen Baum? Für was denn?“
„Jedes Jahr, wenn es kälter wird und der Schnee fällt, dann feiern die Menschen Weihnachten. Der Sohn ihres Gottes wurde da geboren. Dafür wird ein Tannenbaum geschmückt, mit leuchtenden Kugeln und Kerzen und mit einer goldenen oder silbernen Spitze. Die Menschen legen sich gegenseitig Geschenke unter den Baum und singen Lieder.“
„Wow, das klingt toll!“, die kleine Tanne war beeindruckt und beäugte aufmerksam die kleine Familie, die immer näher kam.
„Es klingt vielleicht toll“, erwiderte die Mutter, „aber es müssen jedes Jahr tausende von Bäumen sterben. Das ist sehr traurig.“
„Hm, kommen die Tannen nie mehr zurück?“
„Nein!“
Die kleine Tanne lächelte jedoch, so traurig es auch klang. „Mama, ich möchte mal ein Weihnachtsbaum werden! Ich will geschmückt werden und ich will leuchten und ich will auf die Geschenke aufpassen, die mir anvertraut werden!“
Der älteren Tanne schnürte es das Herz zusammen, sie wollte ihre Lieblingstanne nicht verlieren. „Du bist noch viel zu klein dafür!“
„Aber ich werde wachsen und ich werde die schönste Tanne hier werden, und dann sucht mich eine Familie aus und ich kann ihnen eine Freude zu ihrem Fest machen!“
Die Familie stapfte an den beiden vorbei und entschied sich für einen circa 1,80 Meter großen Baum in der Nähe. Die anderen Bäume sahen zu, wie die Tanne gefällt wurde.
„Tut das weh?“, fragte die kleine Tanne.
„Ich weiß es nicht“, antwortete die Muttertanne wahrheitsgemäß.

In den folgenden Monaten beschloss die ältere Tanne, ihrem Lieblingskind das Licht zu nehmen, damit sie langsamer oder vielleicht gar nicht mehr wachsen würde. Anfangs bemerkte es die kleine Tanne nicht, redete immer wieder davon, ein Weihnachtsbaum werden zu wollen und streckte sich täglich, um etwas schneller zu wachsen. Doch ihr fehlte das Licht und ihre Nadeln wurden blässer und verloren an Stärke.
„Mama, ich brauche mehr Licht, ich möchte doch wachsen!“ Die kleine Tanne war verzweifelt.
„Aber Kind, es ist doch so schön hier im Wald, wieso willst du fort von hier?“
„Ich will ein Weihnachtsbaum werden, es ist mein größter Wunsch!“

Nach einigen Wochen merkte die ältere Tanne, dass die kleine Tanne immer stiller und trauriger wurde und ihre Äste hängen ließ. Ihr wurde klar, dass sie ihr Kind jetzt so oder so verlieren würde, denn der Wunsch ein Weihnachtsbaum zu werden, war einfach zu groß. Weil sie ihr Kind aus tiefstem Herzen liebte, und nur wollte, dass es glücklich war, wuchs sie absichtlich in die andere Richtung, damit ihre kleine Tanne mehr Sonnenschein und Regen abbekam. Die Nadeln der kleinen Tanne wurden wir kräftiger und grüner, ihre Äste wurden dicker und sie wuchs stetig der Sonne entgegen.

„Schau mal, Mama, wie ich wachse, bald kann ich ein Weihnachtsbaum sein!“ Die kleine Tanne war wieder glücklich.

Jahr für Jahr, als es kälter wurde, fragte die kleine Tanne ihre Mutter, ob sie den jetzt bereits groß genug war, aber jedes Mal antwortete die Mutter, dass es bestimmt noch ein Jahr dauern würde. Geduldig wartete die kleine Tanne, war bedacht darauf, dass ihre Äste gleichmäßig wuchsen, ihre Spitze gerade blieb und sie genug Sonne abbekam.

Und dann war es endlich soweit. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern kam zielstrebig auf die kleine Tanne zu und wollte sie haben. Es dauerte nicht lange und der Förster hatte den wunderschönen Baum gefällt.
„Mama, es hat nur ganz kurz weh getan! Endlich geht mein Traum in Erfüllung. Lebe wohl!“
„Lebe wohl, mein Kind! Du wirst der schönste Weihnachtsbaum von allen werden! Ich wünschte, ich könnte dich sehen! In Gedanken bin ich immer bei dir!“

Zwei Wochen später.

Das Glöckchen ertönte und die kleine Tanne streckte sich stolz. Ihre Äste waren geschmückt mit roten, gelben und blauen Kugeln, dazwischen hingen Strohsterne und kleine Engel. Das silberne Lametta glitzerte im Schein der Kerzen, die den ansonsten dunklen Raum erleuchteten. Auf dem Haupt der kleinen Tanne thronte eine goldene Spitze, zu ihren Füßen lagen viele bunte Geschenke. Über einer kleinen Krippe breitete sie schützend ihre Äste aus. Es roch nach Glühwein und Bratäpfeln und auch etwas nach Wald und frisch geschnittenen Zweigen. Die Augen der kleinen Kinder leuchteten und die kleine Tanne freute sich sehr, als die Mutter zum Vater sagte, dass sie noch nie einen so schönen Weihnachtsbaum gehabt hätten.
„Mama, ich wünschte, du könntest mich sehen! Es ist noch viel toller, als ich es mir vorgestellt habe!“, rief die kleine Tanne in die Nacht.

Draußen im dunklen Wald spürte eine ältere Tanne genau in diesem Moment, wie unendlich glücklich ihr Kind gerade war. Sie bewegte sich leicht mit dem Wind und lächelte.

Frohe Weihnachten und alles Liebe!